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Integration am Scheideweg – Situation der Sprachlehrkräfte in Sachsen-Anhalt

Stellungnahme zur Antwort der bildungspolitischen Sprecherin der SPD Landtagsfraktion am 30.11.2016 auf unsere Pressemitteilung vom 2.11.2016

Am 2. November veröffentlichte Halle gegen Rechts - Bündnis für Zivilcourage eine Stellungnahme, in der wir eindringlich an die Landesregierung appellierten, eine Einigung im Streit um den drohenden Verlust von 185 Sprachlehrkräften im Land zu erzielen. Die SPD-Landtagsfraktion hat uns nun - als einzige Regierungsfraktion - geantwortet. In ihrem Schreiben, das wohl gleichzeitig an zahlreiche Elternvertreter*innen, Schulleitungen und Schüler*innen versandt wurde, wird die nun erzielte Einigung als Minimalkonsens bezeichnet. Von den ursprünglich 185 Lehrkräften sollen etwa 83 vorerst weiterbeschäftigt werden.

Aus Sicht der SPD-Landtagsfraktion sei der tatsächliche Bedarf jedoch höher, allerdings habe man sich damit in der Regierung nicht durchsetzen können. Die SPD-Fraktion warnt deshalb auch vor einer weiteren Verschlechterung der Unterrichtsversorgung ab Januar 2017. Sie sieht zudem das Bildungsministerium in der Pflicht, “den Sprachunterricht so zu organisieren, dass Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse nach wie vor in Sprachklassen unterrichtet werden.”

Wer die Diskussion um die Unterrichtsversorgung in Sachsen-Anhalts Schulen in den vergangenen Monaten aufmerksam verfolgt hat, dürfte nun zu folgenden Schlüssen kommen:

  • Die Unterrichtsversorgung wird sich ab Januar 2017 für alle Schüler*innen weiter verschlechtern. Die Sprachlehrkräfte waren auch in der regulären Unterrichtsversorgung eingesetzt und haben hier Lücken geschlossen, die nun wieder aufreißen.
  • Die Integration von jungen Menschen in Sachsen-Anhalts Schulen, die aus Krisengebieten nach Deutschland geflüchtet sind, wird deutlich erschwert. Denn ohne eine angemessene Sprachförderung können Menschen nicht gleichberechtigt am Unterricht und an der Gesellschaft teilhaben. Das Niveau einer Bildungssprache, Voraussetzung für schulischen Erfolg, erwirbt man nicht nebenbei in wenigen Monaten. Das scheint vom Bildungsminister nicht erkannt worden zu sein -  oder es wird schlichtweg ignoriert.
  • Da die Unterrichtsversorgung bereits vor dem Anwachsen der Schüler*innenzahlen durch die Zuwanderung der letzten Jahre auf einem bedenklichen Niveau war, dürfte sich ab Januar auch grundsätzlich die Qualität des Unterrichts an den Schulen in Sachsen-Anhalt verschlechtern: Individuelle Förderung von Schüler*innen mit besonderen Förderbedarfen, mit temporären Lernschwierigkeiten oder besonderen Begabungen werden immer weniger möglich.
  • Die Folgen werden spürbar sein:
    • für die Lehrkräfte, die für immer mehr Schüler*innen eine hohe Verantwortung tragen; die weiterhin verpflichtet sind, die gesetzlich festgeschriebenen Qualitätsanforderungen an die Schule und den Unterricht zu erfüllen, ohne dafür noch ausreichend zeitliche Ressourcen zu haben; negative Auswirkungen auf den Krankenstand sind absehbar;
    • für die Eltern, die angesichts der gesellschaftlichen Umstände natürlich das Ziel verfolgen, ihren Kindern zu einem bestmöglichen Abschluss zu verhelfen, damit diese nach der Schule eine gute Chance auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft haben; die dann sehen, dass die Bedingungen in den Schulen für gutes Lernen immer schlechter werden, was Eltern wiederum unter Stress setzen dürfte, da sie sich dann selbst in der Pflicht sehen, sich um Kompensationen zu kümmern;
    • die Schüler*innen, von denen insbesondere diejenigen, die auf zusätzliche Unterstützung angewiesen sind, die Leidtragenden sein werden, da sie keine angemessene Förderung erhalten, um ihre Potenziale ausschöpfen zu können; aber auch die Leistungsstärkeren werden in ihren Stärken immer weniger in der Schule gefördert werden können; dass die Schule ein Ort ist, wo die weichen für das gesamte Leben gestellt werden, macht diese Punkte besonders fatal.

Insgesamt besteht zu befürchten, dass das Land Sachsen-Anhalt, insbesondere der Verantwortungsbereich des Bildungsministeriums, seinem gesetzlichen Auftrag der Ermöglichung einer angemessen Schulbildung für alle Schüler*innen im Land, unabhängig von Herkunft oder Einkommen der Eltern, nicht mehr nachkommen wird. Dass es die Regierungsfraktionen vor diesem Hintergrund nicht geschafft haben, eine Einigung zu erzielen, die eine wirkliche Entspannung in den Schulen verschaffen könnte, dürfte spürbare negative Konsequenzen für die Entwicklung des Landes und vieler hier lebender Menschen haben. Und es ist nicht zu verstehen, angesichts des Drucks von Rechts, angesichts der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag sowie angesichts der Beteuerungen des Bildungsministers, eine gute Schule für Sachsen-Anhalt erhalten zu wollen.

Die Zukunft wird jetzt in diesem Augenblick verspielt. Wir können nicht auf die nächste Legislaturperiode warten. Die Probleme, die ihren Anfang bereits vor vielen Jahren genommen haben, bedürfen jetzt einer Lösung. Wenn die Regierung und die sie tragenden Fraktionen Handlungsfähigkeit beweisen wollen, die für einen großen Teil der Bevölkerung spürbar ist, dann ist die Schule dafür der richtige Ort.

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